#2 Brauchen wir das wirklich alles?

Schließt die Stadttheater! Fördert Freie Kunst!

Nein?! – Doch! – Oorr!

So höre ich die meisten schon nach Luft schnappen, nach dieser frevelhaften Forderung. „Wie kann sie nur?“ „Aber die Stadttheater!“ „Die sind weltweit einzigartig!“

Und neeiin, selbstverständlich will ich *nicht* alle Stadttheater in Deutschland schließen. Aber: ich frage mich, ob wir angesichts des immer erdrückenderen öffentlichen Sparzwangs die gewohnten Wege verlassen sollten und einfach mal ganz anders denken. Mindblowing – ich weiß.

Also: Was wäre, wenn weniger Theatergebäude nicht automatisch weniger Theater bedeuten würde?

Doggo Meme: Much wow

Let’s talk about: Der Elefant im Raum

Deutschland leistet sich seit Jahrhunderten eine einzigartige öffentliche Theaterlandschaft. In 124 Gemeinden gibt es 134 Theaterunternehmen, die insgesamt über 788 Spielstätten verfügen[1]. Die Zahl muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: 788 Spielstätten!

Achtung! Jetzt kommen noch ein paar mehr Zahlen. Aber bear with me! Das führt alles irgendwohin. Versprochen!

In diesen 134 Theaterunternehmen in öffentlicher Hand sind 40.621 Menschen beschäftigt. 44% davon sind künstlerisches Personal und i.d.R. nach NV-Bühne beschäftigt, ebenso wie weitere 40% in künstlerisch-technischen Berufen (Werkstätten, Kostüm, Maske …). 14% arbeiten in der Verwaltung und sind i.d.R. nach TVÖD beschäftigt.

Der kleine Rest sind Azubis. Dazu kommen aber auch noch weitere Personen, die für einzelne Inszenierungen ans Haus geholt werden.

All diese Menschen sind ständig beschäftigt und kosten ihre Arbeitgeberin (also die öffentliche Hand) Geld.


[Disclaimer: Ich will in keinster Weise behaupten, dass Angestellte nach TVÖD oder gar nach NV Bühne unrechtmäßig viel Geld verdienen würden. Das ist nicht der Fall! Im Gegenteil finde ich es eher frech, wie schlecht bezahlt z.B. Schauspieler*innen immer noch sind. Hier geht es aber um den Blick aufs große Ganze und nicht um die einzelnen Personen, die dahinterstecken.]


Insgesamt belaufen sich die Personalkosten (hier sind auch die nicht ständig angestellten mit eingerechnet) auf rund 2,64 Mrd. Euro. Davon entfallen wiederum 45 % auf das künstlerische und 32 % auf das künstlerisch-technische Personal. 8 % sind in der Verwaltung fällig und die restlichen 15 % verteilen sich auf sonstige Personalausgaben, Versorgungsbezüge, Kosten für Aushilfen sowie Werkverträge.

 Aber nicht nur die Menschen kosten – zurecht – Geld. Sondern auch die Gebäude an sich und alles, was mit deren Instandhaltung zusammenhängt. Allein Grundstücke, Gebäude und bauliche Anlagen belaufen sich auf 176,3 Mio. Euro und Mieten und Pachten auf 110,2 Mio. Euro. Der Bauaufwand kostet 59,06 Mio. Euro und sogenannte „besondere Finanzierungsausgaben“ 98,5 Mio. Euro.

Insgesamt liegen die sächlichen Betriebskosten (dazu kommen noch Ausgaben für Veröffentlichen, Gastspiele, Urheberabgaben etc.) damit bei einer guten Milliarde Euro. (1,05 Mrd., um genau zu sein.)

Von den Gesamtkosten in Höhe von 3,69 Mrd. Euro für unsere deutschen Stadt- und Staatstheater gehen also rund 29 % für Sachkosten drauf und 71 % für Personal.

Aus Freier-Szene-Perspektive ist das salopp gesagt … ne Meeeenge Kohle!

Nur mal so zum Vergleich: Das wirklich gute und zu Recht in der Szene viel gelobte NEUSTART KULTUR Programm der BKM (richtig gegendert, denn es war Claudi Roth, die hierfür verantwortlich zeichnete) stellte über einen Zeitraum von 3 (!) Jahren (!) 2 Milliarden Euro zur Verfügung.[2]

Und alle waren so: Wooooaah! Das ist so. Viel. Geld.

Nochmal zum Mitschreiben.

2 Milliarden. Über 3 Jahre.

Im Vergleich zu 3,69 Milliarden. Jährlich.

 

Let’s dive even a little deeper

Da NEUSTART KULTUR nun aber keinen grundsätzlichen Vergleich zulässt, schauen wir auch noch kurz auf die Zahlen der Freien Szene. I promise, wir haben’s gleich geschafft mit den Zahlen!

Im Bundeshaushalt 2025 sind insgesamt 513,79 Mio. Euro für „Sonstige Kulturpflege“ eingestellt.[3] Da es ja bei den Stadt- und Staatstheatern vor allem um darstellende Kunst geht, wollen wir das auch hier genauer aufschlüsseln. Oder es wenigstens versuchen.

Die Kulturstiftung des Bundes erhält 35 Mio. Euro, der Fonds Darstellende Künste 5,6 Mio. Euro. Für den Bundesverband Freie Darstellende Künste gibt es nochmal 156.000 Euro … Ich gebe ganz offen zu: dieser Haushaltsplan ist eine Wissenschaft für sich und letztendlich ist das Geld für die Freie Szene auf unzählige kleine Posten verteilt, die ich nicht die Muße (oder die Zeit) gehabt hätte, alle im Detail rauszusuchen.

Aber ich denke, das Bild wird klar, dass es sich hier im Vergleich eher um Kleckerbeträge handelt.

(Wie weit eine Milliarde von einer Million weg ist, wird hier nochmal schön illustriert. Für alle, die sich das nicht so gut vorstellen können. (Me too))

Dann geben ja auch noch die Länder und Gemeinden allerlei Zuschüsse. Und da stehen wir dann leider vor dem Problem der sehr unübersichtlichen Datenlage. Ich hab hierzu mal ChatGPT gebeten eine Recherche zu machen und folgende Antwort bekommen:
„Kurz und ehrlich: es gibt keine verlässliche, öffentlich verfügbare Gesamtsumme, die alle Länder- und kommunalen Projekt-/Programm-Mittel für die Freie Szene (und ausschließlich diese, ohne kommunale Betriebsmittel von Theatern/Museen) bereits aggregiert ausweist. […] Keine einzige Quelle liefert die von dir gewünschte aggregierte Jahressumme (Länder + Kommunen) ausschließlich für projektbezogene/programmatische Förderung der Freien Szene. Viele verlässliche Einzelzahlen und Programme existieren — aber sie sind verteilt auf 16 Landes-Haushalte, hunderte kommunale Fördertöpfe und Fonds.“


Chatty und ich haben dann gemeinsam noch etwas weiter geforscht und so kann ich jetzt eine ungefähre (!) konservative (!) Schätzung präsentieren.

Die Länder steuern irgendwas zwischen 6,5 und 9 Mio. Euro in Form von Förderprogrammen bei, die Gemeinden irgendwas zwischen 4 und 8 Mio. Euro.

Doch egal, wie man es jetzt dreht: Selbst wenn diese Zahlen suuuper konservativ sind und in Wahrheit doppelt so hoch liegen – dann kommen die Gesamtausgaben von Bund (großzügig 50 Mio.), Ländern (großzügig 20 Mio.) und Kommunen (großzügig 15 Mio.) nicht annähern an die Summe heran, die wir regelmäßig für Stadt- und Staatsbühnen ausgeben.

Die Summe von 85 Mio. entspricht immer noch nur gerade einmal 2 % von 3,69 Mrd.

Zwei. Prozent.

Aber an diesen zwei Prozent wird gerade wild gekürzt. Und wild, finde ich wirklich alles daran.

Wer zahlt den Preis?

Mit diesem Wissen – stellt euch mal vor, wie viele Kulturprojekte die Freie Szene mit 3,69 Mrd. Euro umsetzen könnte. Stellt euch mal vor, wie viele Vereine, Netzwerke, Interessenvertretungen endlich eine Grundsicherung etablieren könnten, statt sich immer nur von Projekt zu Projekt zu hangeln.

Stellt euch mal vor, wie viel Druck aus der Szene genommen werden würde, wenn uns nur die Hälfte dessen zur Verfügung stünde.

Meme: T-Rex mit Greifarmen und dem Schriftzug "Unstoppable"

So stelle ich mir das dann nämlich ungefähr vor …

Doch leider belohnt das System vor allem Bestand. Nicht Innovation. Als kulturelle Leuchttürme, als Prestigeobjekte trägt die Kulturpolitik die Stadt- und Staatstheater vor sich her. Und so treffen Kürzungen, wie sie auch aktuell zuhauf stattfinden, zuerst die Freie Szene.

Wir sind flexibel und maximal resilient. Wir können das ab. Die Frage ist aber, wie lange noch? Denn wer permanent im Prekariat lebt, verliert irgendwann auch die größte Leidenschaft für die Kunst.

Dabei arbeitet die Freie Szene inklusiv, divers, lokal vernetzt. Eigentlich genau das, was die Politik immer fordert. Sie reagiert agil auf sich kurzfristig ändernde Umstände. Sie nimmt gesellschaftliche Stimmungen auf und setzt sie in Kunst um – so schnell kann ein*e Intendant*in gar keine geeignete Regie finden.

Okay, ich weiß, dass ich gerade polemisch klinge. Aber vielleicht ist es auch einfach an der Zeit für mehr Polemik. Also nochmal ganz plakativ:

Wer kulturelle Teilhabe ernst meint, darf nicht nur die großen Häuser schützen.

 

Zeit für eine Neubewertung

Es wird in naher Zukunft nicht auf magische Weise mehr Geld vom Himmel fallen. Aber das, was da ist, kann – und sollte! – anders verteilt werden. Gerechter. Es wird also Zeit für eine Neubewertung. Kulturfinanzierung muss als Ganzes gedacht werden und nicht nur in seinen Einzelteilen.

Dabei geht es überhaupt nicht um ein Entweder-Oder. Sondern um eine Gewichtungs- und Verteilungsfrage. Ich wünsche mir eine kulturelle Infrastrukturreform, die alles von Grund auf neu denkt.  

Lasst uns Kultur mehr dort fördern, wo sie die Menschen wirklich erreicht.

Öffentliche Kulturförderung muss sich an ihrer Zukunftsfähigkeit, aber auch den Teilhabechancen, die sie ermöglicht, messen lassen.


Das heißt konkret, um noch ein letztes Mal plakativ zu werden:

Weniger Denkmalschutz fürs System, mehr Mut zur Dezentralisierung.

Weniger Häuser und Personal, mehr Kultur, die wirklich für alle da ist.


Wie sähe eine faire Kulturförderung für euch aus? Welche Wünsche und Visionen habt ihr?

Ich will groß denken!

 

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#1 It’s me hi. I’m the problem.